Kleine Brötchen – große Wirkung
25 Teilnehmende der Literacy-Qualifizierung „Fachkraft für Sprache und Kommunikation“ präsentierten ihre Projektentwürfe zum Abschluss der geförderten Fortbildung im Odenwald-Institut.
Mit dem Motto „Kleine Brötchen backen statt das große Brot“ begeisterten Professorin Dr. Yvonne Decker-Ernst von der IU International Freiburg und Professor Dr. Elmar Stahl von der PH Freiburg alle Teilnehmenden. Die Gruppe war genauso vielfältig wie die Kinder, mit denen sie arbeiten: Kita-Fachberaterinnen, -Fachkräfte, Kita-Leitungen sowie Schulbegleiter*innen mit vielfältigen Biografien. Einige hatten ursprünglich andere Berufe, andere Migrationserfahrung. Sie gingen in ihren Einrichtungen auf Spurensuche und entdeckten: „Wir können vieles nutzen, was schon vorhanden ist.“
Selbstreflexion, Bewusstsein und Aufmerksamkeit sind Schlüssel
Aufmerksam sein, anders hinhören und einen Zugang finden – das seien die Schlüssel. Dabei spiele Selbstreflexion eine große Rolle. Viele, insbesondere die Fachkräfte mit Migrationshintergrund fragten sich: Wie gehe ich selbst mit Sprache um? Wie habe ich es als Kind erlebt? Sind es die Grenzen der Sprache oder sind es meine eigenen Grenzen, die mich zurückhalten? Eine Kita-Fachberaterin sagte: „Ich habe nun einen anderen Blick auf die Sprache, ein anderes Bewusstsein entwickelt und kann besser eine andere Perspektive in der Kita-Beratung einnehmen."
Ein Schulbegleiter hat sich zur Aufgabe gemacht, seine Kolleg*innen für Sprache zu sensibilisieren. Sein Engagement trägt erste Früchte – er wurde bereits für einen Vortrag dazu angefragt. Er sagte: „Sprache spricht mit allen Sinnen – außen und innen!“
Heute weiß ich, dass ich ins Gespräch gehe
Ganz wichtig sei Beziehungsaufbau: Mit den Kindern sprechen, besonders mit denen, die zurückgezogen, schüchtern sind oder die Sprache nicht können. „Ich nehme mir die Zeit für ein persönliches Gespräch auf Augenhöhe“, berichtete eine Kita-Mitarbeiterin. „In einem Gespräch über den Namen auf seinem Rucksack habe ich den Zugang zu einem Kind gefunden.“ Solche kleinen Dialoge ermöglichen es, Vertrauen aufzubauen und Kinder sprachlich einzubinden.
Eine andere Teilnehmerin möchte die Gebärdensprache nutzen, eine weitere hat in einer ersten Veranstaltung für Eltern mit einer Art Scrabble gute Erfahrung gesammelt. Auch Gendersensibilität sei ein Thema. Eine Teilnehmerin ging mit Kindern auf Spurensuche und stattete anschließend das Puppenhaus mit verschiedenfarbigen Püppchen aus, inspiriert durch das Buch „Sprache und Sein – Wie Worte unser Denken prägen."
Kleine Brötchen backen – große Wirkung erzielen
Die Teilnehmenden nahmen viel mit nach Hause. Ihre Ideen reichten von großen Buchstaben auf Augenhöhe der Kinder, Sticker, Fotos und beschriftete Karten bis zu Lesewerkstätten und altersgerechten Schreibwerkstätten. Bücher in beschrifteten Themenkisten, Bildchen an Gegenständen oder Lebensmittelkarten hinter den Speisen – all das schafft spielerisch Zugang zur Sprache.
Ein kreatives Beispiel: Vorschulkinder sollen in der „Wackelzahngruppe“ einen „Führerschein“ für den Umgang mit verschiedenen Medien wie Tablet, Schreibmaschine und Tafel machen. „Damit sie gut damit umgehen“, erklärte die Kita-Mitarbeiterin. Eine Herausforderung sei es für die Kleinen. Auch dafür hat eine Teilnehmerin für ihre Einrichtung Lösungen entwickelt – wie Arbeiten mit Stempeln oder Geburtstagskalender mit Bildern, Grafik und großen Buchstaben.
„Wir können Sprachen sichtbar machen auf Karten, einer Weltkugel, auch Schaukästen können wir kindgerecht gestalten. Wir können Gruppennamen auf Kinderhöhe anbringen, Materialkästen beschriften, Speisepläne kindgerecht auf Kinderhöhe aushängen.“, sagte eine Kita-Leiterin.“ Mit einer erhaltenen Spende möchte sie dafür Materialien anschaffen.
Schon das Zuordnen von Gegenständen und Einspeichern der dazugehörigen Wörter in Lesestifte könne gemeinsam mit den Kindern erfolgen. Anschließend können sie diese selbständig nutzen und sich die Wörter vorlesen lassen. Eine Teilnehmerin berichtete: „Wir arbeiten viel in der Natur. Ich werde mit den Kindern ein 'Forscherbuch' zu einer Vogelfamilie anlegen, die wir vom Nestbau bis zur Aufzucht der Jungen beobachtet haben."
Kita und Grundschule sind Abbild der gesamten Gesellschaft
Sprache ist eine der großen Herausforderungen im Alltag von Kitas und Schulen – darin waren sich alle einig. Die Sprachentwicklung habe zudem eine enorme gesellschaftliche Bedeutung, denn hier kommen Kinder aus allen Lebensbereichen zusammen: armutsbetroffene Kinder, Kinder aus geflüchteten Familien, aus bildungsfernen Schichten, genauso wie Kinder aus wohlhabenden und akademisch geprägten Familien. Hier wird der Grundstock unserer Gesellschaft wie der persönlichen (Berufs-)Biografie gelegt.
Die Literacy-Qualifizierung von Yvonne Decker-Ernst und Elmar Stahl greift diese Herausforderung auf. Beide waren von der Begeisterung, der Reflexion und dem Austausch aller Teilnehmenden beeindruckt. Decker-Ernst berichtet: „Ein Höhepunkt ist für mich immer, wenn Teilnehmende sagen: Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, wie ich anders mit den Kindern spreche.“ Stahl fügt hinzu: „Es war auch für mich eine Bereicherung und durch die Vielfalt der Teilnehmenden auf hohem fachlichen Niveau.“ Die Qualifizierung mit dem Fokus auf Literacybildung haben die beiden Professoren konzipiert. Sie laden die Teilnehmenden nach Abschluss der Qualifizierung in das „Freiburger Sprachnetzwerk“ zum weiteren Austausch ein.
Das Odenwald-Institut sieht sich in der frühkindlichen Bildung in der Verantwortung. Mit praxisnahen Fortbildungen möchte es einen Beitrag dazu leisten und Fachkräften ermöglichen, neue Ansätze zu erlernen sowie sich untereinander zu vernetzen, um die Sprachentwicklung in Kitas und Schulen aktiv zu fördern. Die Teilnehmenden schätzen das Angebot als eine wertvolle Unterstützung für ihre tägliche Arbeit und empfinden diese Qualifizierung als Wertschätzung. Sie wünschen sich, dass ihr Engagement auch von der Gesellschaft mitgetragen wird.
Die Qualifizierung wurde in Kooperation mit der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie im Odenwald-Institut durchgeführt. Im April 2025 soll die Qualifizierung mit neuen Teilnehmenden erneut starten.