„Ein Trauma ist im Nervensystem gebunden. Durch einschneidende Ereignisse hat dieses seine volle Flexibilität verloren. Wir müssen ihm deshalb helfen, wieder zu seiner ganzen Spannbreite und Kraft zurückzufinden.“
- Dr. Peter Levine
SE ist eine psychophysiologische Methode zur Überwindung von Traumafolgestörungen und zur Befreiung der darin gebundenen Lebensenergien.
Menschliche Reaktionen auf Bedrohung sind primär instinktiv und biologisch und erst sekundär psychisch und kognitiv. Sie beinhalten drei angeborene Überlebensstrategien: Flucht, Kampf und Totstell-Reflex (Immobilität). Diese drei Reaktionen sind allen Säugetieren gemeinsam. Was geschieht, wenn wir uns bedroht fühlen? Wir orientieren uns und versuchen die Gefahr einzuschätzen. Erleben wir eine Situation als bedrohlich, mobilisieren wir all unsere Energien für Flucht oder Kampf. Wenn wir damit erfolgreich sind, findet der Organismus auf natürliche Weise wieder sein Gleichgewicht. Ist ein Ereignis jedoch so überwältigend, dass wir nicht kämpfen oder fliehen können, werden diese Überlebensstrategien zwar initiiert, kommen aber nicht zur Ausführung. Als letzte Strategie bleibt uns nur der Totstell-Reflex. Hält diese Immobilität zu lange an, kann sich die enorme eingefrorene Energie nicht entladen; die hohe Aktivierung im Nervensystem bleibt bestehen. In der Folge, oft erst nach Jahren, bilden sich Symptome, die schwerwiegend und auch chronisch werden können.
Trauma ist die biologisch unvollständige Antwort des Körpers auf eine als lebensbe-drohlich erfahrene Situation.
Die Ursachen von Trauma können Ereignisse sein, die fast immer für jeden traumatisierend sind: z.B. Krieg, schwerer Missbrauch, Gewalt, Unfälle, schwere Verletzungen und Krankheiten, Operationen, Verlust eines nahen Menschen, Naturkatastrophen, u.a.m. Aber auch scheinbar alltägliche, oft unerwartete Ereignisse können unter bestimmten Umständen traumatisierend sein: Stürze und sog. kleinere Verletzungen, Unfälle, invasive medizinische und zahnmedizinische Behandlungen, Vergiftung u.a. Die Verletzlichkeit ist abhängig von eigenen Ressourcen, körperlicher Konstitution, Familiendynamik, Lebensumständen und Alter. So können für ein kleines Kind schon die Geburt, mangelnde Bindung, allein gelassen werden, plötzliche laute Geräusche, große Hitze oder Kälte und längere Ruhigstellung traumatisierend sein. Insgesamt kann es sich sowohl um Erfahrungen handeln, die einmalig auftreten oder über einen langen Zeitraum andauern.
Trauma selbst ist keine Krankheit, oft remittieren die Reaktionen nach einer traumatischen Erfahrung wieder, aber es können auch Symptome entstehen, die als chronische Traumafolgen zu sehen sind, wie z.B. Übererregbarkeit, Ängste, Panik, existentielle Hilflosigkeit und Verzweiflung, Verleugnung, Überaktivität, Depressionen, tiefgreifende Gefühle von Entfremdung, Dissoziation, Bindungsunfähigkeit, Überempfind-ichkeit, Schlaflosigkeit, Erschöpfung, chronische Schmerzen, Fibromyalgie, Migräne, Nacken- und Rückenbeschwerden, Probleme mit dem Immunsystem und mit dem endokrinen System u.v.m. Trauma kann jede Ebene unseres Lebens beeinträchtigen oder stören – körperlich, seelisch, geistig und sozial.
Bewältigung von Trauma geschieht durch die schrittweise Entladung der immensen Überlebensenergie, die noch in der Immobilitätsreaktion gebunden ist. Im Somatic Experiencing (SE)® “verhandeln“ wir das Trauma neu. Dazu ist es nicht nötig, das traumatische Geschehen nochmals kathartisch zu durchleben.
Es ist möglich auch ohne konkret erinnerten Inhalt oder Geschichte zu arbeiten. Dies kann sinnvoll sein, vor allem, wenn das Ereignis emotional noch zu belastend ist. Wesentliche Elemente im Verarbeitungsprozess sind: Erdung, Zentrierung, Ressourcenbildung und das Nachspüren (Tracking) der Körperempfindungen, Gefühle, Verhaltensweisen, Gedanken, Bilder und Bewegungen. Zunächst werden mit der Klient*in jene Ressourcen entwickelt, die während der ursprünglichen Situation fehlten oder zu schwach waren.
Auf dieser gestärkten Basis erfolgt dann die Annäherung an das traumatische Ereignis. Im Pendeln zwischen den Ressourcen und der überwältigenden Erfahrung wird die “eingefrorene“ Überlebensenergie “aufgetaut“. Ein Schlüssel dabei ist die sogenannte Titration: Die Veränderung soll bewusst in kleinen Schritten erfolgen, damit das System diese auch wirklich integrieren kann. Die unvollständige Überlebensreaktion kommt dadurch zum natürlichen Abschluss und somit auch die Trauma-Symptomatik. Das Nervensystem findet wieder zu seiner ursprünglichen Selbstregulationsfähigkeit zurück und es kommt zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Self-Empowernment. Somatic Experiencing (SE)® ist ein kraftvolles Instrument zur Transformation von Trauma und ermöglicht die Integration alter Verletzungen in die individuelle Lebensgeschichte.
Zielgruppe und Aufbau
Die 3-jährige Weiterbildung richtet sich an Menschen aus Heil- und Sozialberufen, die mit akut und chronisch Traumatisierten arbeiten wie Psychotherapeut*innen, (Zahn-)Ärzt*innen, Heilpraktiker*innen, Sozial- und Heilpädagog*innen, Körpertherapeut*innen, Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen, dem Coachingbereich und aus dem Rettungswesen.
Voraussetzung für die Zulassung zur Weiterbildung
Ist eine mindestens mehrjährige Berufserfahrung in einem der o.g. Bereiche und die Teilnahme an einem Einführungsseminar (Intro) in Somatic Experiencing (SE)® bei einem dafür autorisierten Lehrer. Danach kann die Empfehlung für eine Teilnahme am Training erfolgen, individuelle Fördermöglichkeiten besprochen werden oder die Empfehlung für einen späteren Fortbildungsbeginn gegeben werden. Wenn das Intro bei anderen dafür autorisierten SE-Trainern absolviert wurde, ist eine Rücksprache der Kursleiter*innen über die Empfehlung zur Ausbildung zu ermöglichen.
Des Weiteren wird dringendst empfohlen, einige Selbsterfahrungsstunden in SE vor Beginn des Trainings zu nehmen, um die Wirkung auf die eigene Selbstregulation zu erfahren und die Methode aus der Klientenperspektive kennenzulernen. Außerdem soll dies unterstützen, dass eine Einschätzung erfolgen kann, ob SE für die Anwendung im eigenen Berufsfeld passt.
Struktur
Die Fortbildung läuft über 3 Jahre und umfasst 6 Seminare (2 Termine pro Jahr) à 6 Tage mit insgesamt 36 Zeitstunden (= 48 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten) pro Seminar. Hinzu kommen Selbsterfahrung (18 SE-Einzelsitzungen) und Supervision (18 Stunden), die möglichst gleichmäßig auf die Fortbildung verteilt werden sollen.
Der Lernprozess wird unterstützt durch zu bildende Peergruppen, in denen Fortbil-dungsinhalte zwischen den Seminaren regelmäßig geübt und vertieft werden sollen.
In einzelnen Fällen kann die Trainerin Teilnehmer*innen über die o.g. Minimalanforderungen hinaus auffordern, zusätzliche Einzelsitzungen und Supervisionen zu nehmen, um das Abschlusszertifikat zu erhalten. Dies tritt ein, wenn sich während der Ausbildung zeigt, dass der Standard in den Übungen noch nicht erreicht ist und/oder Ausbildungsinhalte nicht genügend verstanden sind. Dies gilt auch, wenn ein Teilnehmender im Hinblick auf die Arbeit mit traumatisierten Menschen noch mehr der persönlichen Festigung bedarf. Unter Umständen kann eine Unterbrechung der Ausbildung nötig werden, bis er/sie die geeignete Unterstützung/Begleitung erhalten hat.
Abschluss/Anerkennung
Nach Abschluss der Fortbildung und Erfüllung der erforderlichen Selbsterfahrungs- und Supervisionsstunden erfolgt die Zertifizierung durch die European Association for Somatic Experiencing“ (EASE) zum SE Practitioner. Das beinhaltet auch die Berechtigung sich das Zertifikat des Somatic Experiencing Trauma Institut, ehemals Foundation for Human Enrichment (FHE) zu erwerben. Danach darf SE nur im jeweiligen beruflichen Rahmen und innerhalb der für die jeweilige Berufsgruppe gültigen staatlichen Vorschriften ausgeübt werden.
Viola Rudat, Tel. 06207 605-120, Mail: v.rudat(at)odenwaldinstitut.de